Samstag, 8. November 2014

Die Dekonstruktion von Wörtern

Wörter schaffen Welten. Obwohl es uns ganz oft nicht bewusst ist und wir sie einfach so verwenden, wie sie uns vielleicht in den Sinn kommen und wie wir sie häufig in unserer Umgebung hören, so sind sie doch kleine Samen, die immerhin ein gesamtes Erbgut in sich tragen.
Je nachdem in welcher Region der Welt, welcher Kultur und sozialen Schicht man sich befindet, können einzelne Wörter ganze Universen evozieren und Emotionen hervorrufen.

Emotionen schaffen: 
http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/15173590
Die besten Orangen kann man in Deutschland in der Vorweihnachtszeit kaufen. Obwohl Orangen keine typischen mitteleuropäischen Früchte sind, wird der Orangenduft dennoch häufig mit der Adventszeit in Verbindung gebracht. Es gibt Orangen-Zimt Düfte, es gibt Orangen-Ingwer-Tee und getrocknete Orangenscheiben dienen als Dekoration, Orangenplätzchen als Degustation. In einigen Gemütern wecken der Geschmack und Duft von Orangen auch vorweihnachtliche Gedanken, ein Gefühl von Glühwein und vertrauten Stunden zu Hause. (Vielleicht kennen einige dieses Gefühl oder Bild, sicherlich ist dies auch von der Sozialisation abhängig.)


https://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/
deutschland-vs-kamerun
Orangen sind in Kamerun grün, maximal gelb. Sie schmecken wie süße Zitronen und riechen so intensiv, dass man sie manchmal beim Vorbeifahren im Taxi schon erahnt und nach ihnen Ausschau hält. Sie werden hier ausgezutscht und nicht mit dem ganzen Fruchtfleisch verspeist. Sie haben viele Kerne und manchmal schmecken sie auch einfach nur sauer oder wässrig. Ich frage mich immer wieder, warum die Frucht, die hier heimisch ist, Orange heißt. Wahrscheinlich wurde diese Frucht fremdbenannt, nach dem Verständnis fremder Händler und Wirtschaftler... lange bevor ich mir diese Frage stellen konnte.

Unterschiede schaffen und betonen: 
Warum spricht man hauptsächlich noch vom "Lehrer" anstatt von der Lehrerin, obwohl mindestens 75 % des Lehrkörpers aus Frauen besteht. Viele Deutschlernenden bilden zu dem Wort "Krankenschwester" gern das Pendant "Krankenbruder", aber da sagen wir dann doch "Krankenpfleger". Gern besteht man im kamerunischen Französischen noch darauf die Unterscheidung zwischen Madame und Madmoiselle zu machen. Welchen Mann bezeichnet man denn bitte nach seinem Beziehungsstatus. Wieso müssen Babys in blauen Kinderwagen zwangsläufig Jungen sein und Kinder auf rosa Fahrräder Mädchen? Warum tut sich die deutsche Sprache so schwer, angemessene Bezeichnungen für Personen mit Migrationshintergrund zu finden? Sagen wir Ausländer im eigenen Land zu Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, so bezeichnen wir uns im Ausland - wo wir zu Ausländern werden - gern auch als Expats (Duden: jemand der (im Auftrag einer Firma) länger Zeit im Ausland arbeitet) oder Touristen. Welche Verbindungen haben wir im Kopf, wenn wir das Wort "Ausländer" oder "Migrant" benutzen?


http://www.rhetorik.ch/Hohl/Hohl.html


Universen schaffen: 
"La blanche" ist wohl nur eine Bezeichnung der Hautfarbe nach und doch könnte man über diesen einzigen Begriff ganze Bücher schreiben. Wie oft diese Bezeichnung für Personen verwendet wird, die einfach eine dunkle Hautfarbe haben, kann man nicht festhalten. Genauso wenig ist die Tragweite dieses Begriffes zu fixieren. Für mich ist es eine Worthülse, die eigentlich leer ist, ein Schema, ein Klischee, das fernab des afrikanischen Kontinents beginnt. Je nach Erfahrungswert wird in dieser Worthülse alles gesammelt und vereint. Damit ist diese Bezeichnung aber nicht nur ein einfaches Wort, sondern sie enthält ein gesamtes Weltbild, eine Perspektive auf den Westen. Selbst wenn dem Benutzer des Wortes diese Aussagekraft nicht bewusst ist, wird sie immer wieder wiederholt und bleibt so lebendig. "La blanche" kann die gute Käuferin sein, die einen richtigen Preis bezahlt, "La blanche" heißt Wohlstand und ist auch ein sozialer Status, "La blanche" heißt in Kamerun häufig auch Französin, manchmal heißt es auch, Ausblick auf ein Visum. Es kann aber auch ganz schlicht und ehrlich Interesse ausdrücken und dann ist es einfach nur ein Gruß. Aber aus der Perspektive des Bezeichneten ist es ein bloßer Vermerk auf die Hautfarbe, es ist die Verbindung mit vielen kleinen Erfahrungen und schafft immer wieder Situationen, in denen man erklären, ignorieren oder explodieren möchte. Die Reduktion auf ein äußeres Erscheinungsmerkmal, ohne überhaupt darüber nachzudenken, dass dieses Merkmal nicht automatisch mit Reichtum und Wohlstand, Europa oder Frankreich zu verbinden ist, lässt eine Erfahrung zu, die man in einer weißen Gesellschaft einfach nicht machen kann. Hierzu möchte ich noch anmerken, dass "La blanche" immerhin eine ziemlich positiv vermerkte Worthülse ist, die viele Eigenschaften sammelt, die man auch gern hätte oder zumindest nicht zwangsweise ablehnen würde.
Stelle man sich nun dieses Ausmaß mit anderen Wörtern vor. ...


Fazit: 
© c.d.
Man oder frau sollte sich in diesen Zusammenhängen bewusst werden, wie leichtfertig ein jeder und eine jede mit solchen Klischees tagtäglich um sich wirft. Wie einfach es ist, Wörter zu wiederholen, denn es gibt sie bereits, auch wenn sie nicht immer ganz der Realität entsprechen. Wie leicht es ist, sich über das Umdenken bei Sprache zu mokieren, obwohl es neue Möglichkeiten bietet, zeigen etliche Debatten (Zum Beispiel im Bereich Gender oder Rassismus). Sprache schafft Welten und Wörter sind wie Samen, sie pflanzen Ideen in unsere Köpfe und werden durch ihre Wiederholung in ähnlichen Kontexten gepflegt und zu großen Pflanzen gezüchtet. Die Wurzeln dieser Wörter sind nicht mehr immer rekonstruierbar oder uns bewusst und doch tragen sie Früchte. Manche Wörter werfen lange Schatten. Spätestens wenn man Wörter in neuen Kontexten aufgreift, in die sie nicht gehören, kann man sie entwurzeln, neu definieren und manche Male auch entmachten.




4 Kommentare:

  1. Wikipedia ist freilich nicht die Referenz, aber ich zitiere es trotzdem:

    "Bei Abwesenheit kalter Nächte bleiben die Früchte grün und entwickeln trotzdem ihre gute Essensqualität. Erst bei Kälte werden die Früchte orange bis rot. Die Farbe Orange ist also kein Reifemerkmal. Da aber die westeuropäischen und nordamerikanischen Verbraucher die grüne Farbe für ein Unreifemerkmal halten, werden gerade die grünen Früchte aus frühen Ernten entgrünt[3]. Dadurch bedingte Qualitätseinbußen werden der besseren Vermarktung wegen hingenommen. Die Entgrünung ist in der EU erlaubt."

    Ich habe mich übrigens nie gefragt, warum die Orange dort Orange heißt. Schien mir immer irgendwie eine nicht geschmacklich optimierte Orangenart in Farbvariante zu sein.

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    1. Finde ich ja witzig, dass wir es dann dennoch nach unserem Verständnis der "Unreife" kategorisieren, obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten. Direkt nach der Veröffentlichung dieses Artikels habe ich einen kleinen Stand gesehen, an dem es Mandarinen gab, die orange waren. ;)

      Ich habe mir diese Frage erst dann gestellt, als Schüler/innen in einem Zuordnungsspiel orange nicht automatisch der Orange zugeordnet haben... (Lebenmittel: gelb = Banane, rot = Tomate etc...)

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