Montag, 3. August 2015

"Der dunkle Fluss" / "The Fishermen" Chigozie Obioma

„Der dunkle Fluss“ von Chigozie Obioma (2015) ist als sein Erstlingswerk bereits vielversprechend und fesselnd. 

Aus der Sicht des zweitjüngsten Sohnes Benjamin wird eine Familientragödie im niegerianischen, man könnte auch sagen, westafrikanischen Kontext geschildert. Durch eine böse Vorhersage eines Verrückten scheint der älteste Sohn immer mehr in seine Innenwelt getrieben und entzweit sich von seinen Brüdern. Der Konflikt wird für die gesamte Familie untragbar, bis es schließlich zur Auflösung durch einen Brudermord kommt. Dabei steht der Lesende, wie der kleine Benjamin selbst, hilflos am Rande der Erzählung und würde so gern helfen und eingreifen, weiß jedoch nicht wie. Alles was folgt, scheint die Bewältigung des unbewältigten Konflikts durch die verbliebene Familie. Dabei scheint die ganze Familie, jeder einzelne fast zu zerbrechen. Die Emotionalität und Hilflosigkeit, die durch die Tragödie Raum einnimmt, stellt sich jedoch nicht in einem zähen Gejammer dar, wie man es sich bei solch einem Konflikt vorstellen könnte, sondern mithilfe von Tiervergleichen, schafft es der Erzähler, das Leiden eines jeden mit einer ganz einfachen Sprache individuell darzustellen. Schlussendlich fesselt nicht nur die bildlich, aber simple Sprache des Autors, sondern auch die analytische Aufbereitung der Konflikte und Charaktere im Roman. 

Dabei kann man viele Details in einen westafrikanischen, kulturellen Kontext, in diesem Falle nigerianisch (Igbo) einordnen und vor diesem Hintergrund durchleuchten. Beispielsweise das Eheverhältnis der Eltern, die eigentliche Verantwortung des Erstegeborenen für seine Brüder und auch die Art, Konflikte zu lösen und Kinder zu erziehen oder den Aberglauben, der Besitz von der Seele des Jungen Ikenna ergreift und sich immer tiefer hineinfrisst.

Dennoch sind im Buch Brüche spürbar. Beispielsweise wird der Vater anfänglich als eine sehr einflussreiche und wichtige Person für die vier Söhne dargestellt, ist jedoch während der gesamten Konfliktentwicklung abwesend. Diese Abwesenheit wird schlussendlich mit einer kurzen Erklärung weggewischt. Die kann sowohl als kritische Auseinandersetzung mit der älteren Generation durch die jüngere verstanden werden oder aber auch einfach eine schwäche der Erzählung sein. Auch erscheint das Buch zweigeteilt, in die Erzählung im ersten Teil und die Analyse der Persönlichkeiten im zweiten Teil. Diese Einteilung kann man vielleicht auch als den Verarbeitungsprozess des kleinen Benjamin verstehen, der zuerst nur passiver Zuschauer ist und am Ende selbst mit dem wachsenden Verständnis zum aktiven Mitgestalter der Erzählung wird. Der Bruch beider Teile bleibt jedoch fühlbar.

Insgesamt werden in „Der dunkle Fluss“ viele aktuelle Problemthemen angesprochen. Glaubensfragen stehen durch die Widersprüchlichkeit des bestimmenden Aberglaube und dem automatisiert praktiziertem Christentum gemeinsam im Raum. Generationskonflikte werden eher versteckt durch die Lösungsarten des Konfliktes und dem Umgang mit den Problemen angedeutet. Auf gesellschaftliche Streitpunkte wird hingegen in der zeitlichen Rahmung der Erzählung direkt hingewiesen, dabei spielen Machtwechsel, Korruption und Staatsführung immer wieder eine Rolle.


"Der dunkle Fluss" oder besser passend der Originaltitel "The Fishermen" ist ein Roman, den es lohnt zu lesen und der seine Leser und Leserinnen in das Milieu einer ganz normalen nigerianischen Familie mit einfachen Träumen und Wünschen entführt. Eine Erzählung, die berührt und bewegt,  aber auch viele kleine interessante psychologische Exkurse bereithält.