Donnerstag, 25. Februar 2016

Soziales Netzwerk à la camerounaise

Momentan lebe ich in einer rein kamerunischen Community. Das klingt vielleicht komisch, denn man denkt ja nicht wirklich, dass ich in Kamerun in einer nicht-kamerunischen Community lebe, aber was ich damit meine, ich habe in meinem sozialen Umfeld keinen einzigen Europäer, mit dem man sich dann doch mal in Codes einfach über eine Sache austauschen kann oder bei einigen Dingen, die hier eben ganz anders laufen, mit einem Blick oder Wort versteht. Da man aus einem ähnlichen Umfeld kommt, ist das tatsächlich ein spürbarer und manchmal riesiger Unterschied, ob man eben ganz in einem kamerunischen Umfeld lebt oder doch auch ein paar Landsmänner- und frauen um sich hat.

Natürlich ermöglicht mir das einen ganz anderen Einblick und es ist manchmal auch eine große Herausforderung. Ein Beispiel ist das soziale Netzwerk hier...

Grob kann man das so zusammenfassen: "Wer Materielles (Geld, Lebensmittel o. a. wertvolle Dinge) hat, der gibt und erhält dafür Dienstleistung. Aber auch ohne Dienstleistung sollte, wer Materielles hat auf jeden Fall etwas springen lassen."

Zum Beispiel kommt ein befreundeter Taxifahrer gern in unser Haus. Er hilft uns manchmal, wenn das Wasser alle ist und fährt dann mit den ganzen Kanistern mit uns Wasser holen. Er fährt auch Freunde von uns rum, aber dafür wird er auch bezahlt. Er kommt gern in unser Haus, nicht weil er mit uns so gern spricht oder sonstiges macht, sondern er kommt, wenn er Hunger hat oder Durst. Dann geht er direkt in die Küche und brät sich Eier oder nimmt, was es gibt mit auf den Weg. - Für mich ein absolutes No-Go. Aber man weiß ja nie, wann man diesen Kontakt noch einmal braucht.
(So glaube ich, dass das kamerunische Verständnis ist.)

Es ist hier auch üblich, Familienmitglieder oder nahe Verwandte zu sich zu nehmen, wenn man dafür die Mittel hat. Man bezahlt ihnen möglicherweise die Ausbildung und sorgt für ihr körperliches Wohlbefinden, dafür helfen sie im Haus, wo sie können. Besonders wenn man selbst Kinder hat, ist es natürlich ein super Austausch, wenn noch jemand im Haus lebt, der beim Haushalt hilft. In diesem Sinne wünsche ich mir häufiger eine "kamerunische Schwester" mit der man Aufgaben teilen kann.

Was sich auch absolut konträr zum deutschen Verständnis verhält, ist das Empfangen von Gästen. Es ist hier durchaus normal, dass wenn man jemandem einen Schlafplatz anbietet oder wenn Leute zu besuch kommen, dass sie am Morgen - bevor ich aufgestanden bin - die Wohnung gewischt haben oder den Abwascht erledigt haben. Wie kleine Heinzelmännchen. Am Anfang habe ich mich immer schlecht gefühlt, denn es sind ja meine Gäste und bei uns sind Gäste doch Könige. Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt und finde es wirklich toll. :)

Dann gibt es auch noch eine weitere Kategorie, die sich ähnlich wie der Taxifahrer verhält... Leute, die irgendwie immer da sind, aber stets den richtigen Moment abpassen um zu gehen oder nicht erreichbar zu sein - nämlich wenn man Hilfe braucht. Sie kennen jedoch auch den richtigen Moment zu Stelle zur sein, wenn das Essen gerade gekocht ist oder die Arbeit getan ist. Diese Kategorie gibt es auch in Deutschland... ohne Frage wahrscheinlich über all. Dennoch mit dem Blick darauf, wie es hier so läuft, die nervigste.

Allgemein kann man sagen, ohne soziales Netzwerk, was durch den Staat gefördert wird, ist man auf sich selbst angewiesen und auf die Leute, die um einen herum sind. Man unterstützt sich, man hilft sich - auch wenn es nicht immer ausgeglichen ist. Aber wenn man die sozialen Hintergründe mancher Leute kennt, dann ist es auch eine Frage des Charakters, Unterstützung zu leisten.

6 Kommentare:

  1. krass...dieser Eintrag zeigt mir gerade wieder, dass du wirklich in einer anderen Welt bist...nicht wegen der (unhöflichen) 'Übergrifflichkeiten', die gibt es ja wirklich überall, sondern weil du momentan vor Ort mit niemanden in deinen Codes kommunizieren kannst,,,das ist gerade unvorstellbar für mich,,,muss ein ganz eigentümliches Gefühl sein, an das ich nicht eine Sekunde gedacht habe...

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  2. Hihi... echt interessant für Sprachforscher. Besonders bereitet mir die Ironie Probleme. Ich werde in meinen ironischen Aussagen nicht wirklich verstanden und habe selbst aber auch Probleme, Ironie hier zu entlarven. Muss an meine alten Seminare mit Herrn Liedtke und dir denken. ;)

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  3. Sehr gut dargestellt. Der Teil mit dem Bodenwischen habe ich auch anders hier in Deutschland erlebt. Ich habe es versucht aber niemand wollte, dass ich irgendetwas als Gast tue. Das ist mir noch ziemlich schwierig zu verstehen, da es scheint mir eine Frage der Selbstverständlichkeit zu sein. Irgendwie fange ich an, mich daran anzupassen. :D

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  4. Lieber Marcel,
    gewöhn dich aber nur in Deutschland dran, denn in Kamerun gehört es ja zum guten Umgang dazu. ;) Was findest du denn besonders spannend im sozialen Netzwerk in Deutschland (verglichen mit Kamerun?).
    Lg.

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  5. Erst nach dem Lesen deiner Post zum Sozialen Netzwerk à la Camerounaise verstehe ich warum meine Gastgeber in Ostfriesland(2007) mir höflich "verboten" hatten, irgend eine Hausarbeit während meines Aufenthaltes bei ihnen zu leisten. An einem Vormittag war ich allein zu Hause und langweilte mich. Da habe ich mir vorgenommen, meine Kleidung zu bügeln. Eine Kollegin meiner Gastgeberin kam vorbei und hat mich dabei"erwischt". Nach der Rückkehr meiner Gastgeber habe ich unmittelbar verstanden, dass die Kollegin sie von dem "Vorfall"sofort informiert hatte. Der Gastvater gab mir zu verstehen, dass er sich strafbar machen könnte, wenn die Behörden darüber informiert werden. Ein Gast bleibt ein Gast. Das war für mich eine gute landeskundliche Lektion.

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  6. Ich finde es interessant und bewerte es als positiv, dass ihr als zwei Deutsche? euch so leicht in den Codes wiederfinden könnt. Als Kameruner muss ich sagen, dass landesweit geltende Codes eher begrenzt vorhanden sind. Man versteht sich besser mit ethnisch Verwandten und auch unter Kollegen gelten eher Codes, die aus meiner Sicht abendländisch oder aus der Religion ableiten. Meine Frau ist englischsprachig ich französischsprachig und unsere ethnischen Zugehörigkeiten sind auch nicht ganz verwandt, aber das Verständnis in einer Menge Bereiche ist nicht immer so selbstverständlich.

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