„Der dunkle Fluss“ von Chigozie Obioma (2015) ist als sein
Erstlingswerk bereits vielversprechend und fesselnd.
Aus der Sicht des zweitjüngsten Sohnes Benjamin wird eine
Familientragödie im niegerianischen, man könnte auch sagen, westafrikanischen
Kontext geschildert. Durch eine böse Vorhersage eines Verrückten scheint der
älteste Sohn immer mehr in seine Innenwelt getrieben und entzweit sich von
seinen Brüdern. Der Konflikt wird für die gesamte Familie untragbar, bis es
schließlich zur Auflösung durch einen Brudermord kommt. Dabei steht der
Lesende, wie der kleine Benjamin selbst, hilflos am Rande der Erzählung und
würde so gern helfen und eingreifen, weiß jedoch nicht wie. Alles was folgt,
scheint die Bewältigung des unbewältigten Konflikts durch die
verbliebene Familie. Dabei scheint die ganze Familie, jeder einzelne fast zu
zerbrechen. Die Emotionalität und Hilflosigkeit, die durch die Tragödie Raum einnimmt, stellt sich jedoch nicht in
einem zähen Gejammer dar, wie man es sich bei solch einem
Konflikt vorstellen könnte, sondern mithilfe von Tiervergleichen, schafft es
der Erzähler, das Leiden eines jeden mit einer ganz einfachen Sprache
individuell darzustellen. Schlussendlich fesselt nicht nur die bildlich, aber
simple Sprache des Autors, sondern auch die analytische Aufbereitung der
Konflikte und Charaktere im Roman.
Dabei kann man viele Details in einen westafrikanischen, kulturellen Kontext, in diesem Falle nigerianisch (Igbo) einordnen und vor
diesem Hintergrund durchleuchten. Beispielsweise das Eheverhältnis der Eltern,
die eigentliche Verantwortung des Erstegeborenen für seine Brüder und auch die
Art, Konflikte zu lösen und Kinder zu erziehen oder den Aberglauben, der Besitz
von der Seele des Jungen Ikenna ergreift und sich immer tiefer hineinfrisst.
Dennoch sind im Buch Brüche spürbar. Beispielsweise wird der Vater anfänglich
als eine sehr einflussreiche und wichtige Person für die vier Söhne dargestellt,
ist jedoch während der gesamten Konfliktentwicklung abwesend. Diese Abwesenheit
wird schlussendlich mit einer kurzen Erklärung weggewischt. Die kann sowohl als
kritische Auseinandersetzung mit der älteren Generation durch die jüngere
verstanden werden oder aber auch einfach eine schwäche der Erzählung sein. Auch
erscheint das Buch zweigeteilt, in die Erzählung im ersten Teil und die Analyse
der Persönlichkeiten im zweiten Teil. Diese Einteilung kann man vielleicht
auch als den Verarbeitungsprozess des kleinen Benjamin verstehen, der zuerst
nur passiver Zuschauer ist und am Ende selbst mit dem wachsenden Verständnis
zum aktiven Mitgestalter der Erzählung wird. Der Bruch beider Teile bleibt
jedoch fühlbar.
Insgesamt werden in „Der dunkle Fluss“ viele aktuelle Problemthemen
angesprochen. Glaubensfragen stehen durch die Widersprüchlichkeit des bestimmenden
Aberglaube und dem automatisiert praktiziertem Christentum gemeinsam im Raum. Generationskonflikte werden eher versteckt durch die Lösungsarten des
Konfliktes und dem Umgang mit den Problemen angedeutet. Auf gesellschaftliche
Streitpunkte wird hingegen in der zeitlichen Rahmung der Erzählung direkt
hingewiesen, dabei spielen Machtwechsel, Korruption und Staatsführung immer
wieder eine Rolle.
"Der dunkle Fluss" oder besser passend der Originaltitel "The Fishermen" ist ein Roman, den es lohnt zu lesen und der seine Leser und Leserinnen in das
Milieu einer ganz normalen nigerianischen Familie mit einfachen Träumen und
Wünschen entführt. Eine Erzählung, die berührt und bewegt, aber auch viele kleine interessante psychologische Exkurse bereithält.
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